„Überwundene Angst bringt Freiheit und Verantwortung“ – Stefanie Rösch, 2013

Leserfrage: Wie finde ich die goldene, gesunde Mitte?

20.06.2016 Veröffentlicht von Leserfragen 2 Kommentare

Ich versuche gerade mich selbst zu verstehen. Ich hatte vor ein paar Jahren ein Burnout. In den letzten Wochen war ich wieder soweit. Es geht mir heute etwas besser und so beschäftige ich mich mit den Ursachen dieses Zustands. Ich sehe wie sehr ich mich in einem Spannungsfeld bewege. Auf der einen Seite der Anspruch meiner Eltern an mich, der heute mein Anspruch an mich selbst ist, Leistung zu bringen. Da ist viel Härte & Druck mir selbst gegenüber, ich „muss“ viel erreichen, überfordere mich, nehme keine Rücksicht auf meine Grenzen, es „muss“ Leistung kommen.
Auf die andere Seite gibt es diesen Anteil, der sich verweigert – ich will gar nichts tun, habe keine Lust auf irgendwas, will nur in Ruhe gelassen werden, versäume, mich um Wichtiges zu kümmern und tue letztendlich gar nichts mehr.
Beide Pole tun mir nicht gut, aber beide sind sehr stark. Vom Kopf her betrachtet, wäre der Weg der goldenen Mitte der richtige, aber ich kenne nur die Extreme und weiß nicht, wie ich auf den „gesunden Weg“ komme. Ich weiß nur, dass ich innerlich frei werden möchte, von dem was andere mir eingetrichtert haben. Diese Verweigerungshaltung des anderen Pols bringt mich ja auch nicht weiter. Können Sie mir helfen?

Liebe Leserin,

nein, ich kann Ihnen nicht helfen. Aber ich kann Ihnen meine Gedanken zu Ihren Gedanken mitteilen. Vielleicht ist ja etwas dabei, das Sie benutzen können, um sich selbst weiter Richtung Gesundheit zu bewegen. Das machen Sie im Übringen schon sehr gut, indem Sie sehr genau beschreiben, wie es an Ihnen zieht und zerrt. Sie beschreiben so treffend, woher die Gedanken kommen und dass Sie Ihnen nicht gut tun. Sie denken auch schon, dass die goldene Mitte der Weg sein könnte.

Das sind alles gute Ideen. Ich führe sie mal ein wenig weiter: Die goldene Mitte? Ich weiß nicht, ob es das gibt. Ich glaube, wir sind im gesunden Zustand eher wie ein Pendel, das schwingt und immer wieder durch verschiedene Phasen und Zustände hindurchschwingt. An den Umkehrpunkten der Pendelbewegung sind die gesunden Extreme: Maximale Leistung und komplette Entspannung und Erholung. Wir bewegen uns wahrscheinlich nicht so gleichförmig wie es ein Pendel tut, aber wir sind ständig in Bewegung und sehnen uns gleichzeitig nach Ruhe, nach Balance, nach der Mitte. Der gesunde Weg ist Bewegung. Dazu gehört zu akzeptieren, dass wir in Bewegung sind und es okay ist, zwischen den Extremen hin und her zu pendeln.

Gesund ist es auch, wenn das Pendel nur so weit schwingt, wie es auf eine gesunde Weise kann. Es schwingt aus sich heraus und wird nicht von jemandem angeschubst. Ich denke immer, diese inneren Stimmen – Sie wissen, es sind die Stimmen Ihrer Eltern – diese Stimmen schubsen uns an und das auf eine Weise, die uns nicht gut tut. Als Kinder glauben wir, wir müssen uns schubsen lassen, weil wir ja geliebt werden wollen. Es erscheint uns ganz natürlich, dass wir uns schubsen lassen müssen (zu was auch immer), um auf diese Weise dafür zu „bezahlen“, dass wir geliebt werden, dass für unsere Sicherheit gesorgt wird und wir versorgt werden. Dieser Zustand ist für uns so natürlich, weil wir ihn so gewohnt sind und nie etwas anderes kennengelernt haben. Wir reagieren so hoch automatisiert, dass wir ihn nie anzweifeln. Wir zweifeln erst dann, wenn wir an einen Punkt kommen so wie Sie gerade: Überfordert, dem Zusammenbruch nah oder schon zusammengebrochen.

Aber im Grunde ist es so, dass die Überforderung notwendigerweise eine Gegenbewegung braucht. Insofern können Sie diesen inneren Anteil, der sich verweigert als den Versuch einer gesunden Gegenbewegung sehen. Ihr Hirn / ihre Seele versucht Ausgleich zu schaffen. Gut, dass Sie das schon bemerken!

Ich könnte mir vorstellen, dass es für Sie hilfreich sein könnte, ausführlich über folgende Sätze nachzudenken: Ich entscheide, was ich tue. Ich sorge gut für mich. Ich muss nicht, aber ich kann.

Immer wenn diese inneren Antreiber „Du musst“ sagen, können Sie es bemerken und versuchen zu entgegnen „Ich muss gar nichts, aber ich kann.“

Das wären gesunde Gedanken gegenüber den Giftigen Gedanken, die „muss“ enthalten.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!
Stefanie Rösch

Tags: , , , , , , , , ,

2 Kommentare

  1. Aggy sagt:

    Wow super!!!! Genau ins Schwarze getroffen. Die Unterscheidung wer der oder die Antreiber bestimmter Gedanken sind ist unheimlich hilfreich.
    Und ein „Muss“ aus seinem Wortschatz zu streichen hilft tatsächlich!!!
    Die Gedanken über die Gedanken sind alltagstauglich 🙂

  2. Carina M. sagt:

    Guter Artikel! Das ist auch beim Abnehmen so. Wenn man sich zu sehr unter druck setzt, kann das gar nichts werden. Wichtig ist die Sache natürlich und gesund anzugehen.
    Liebe Grüße aus München!

Comments are closed.

Der Blog hat Ihnen geholfen?

Dann freue ich mich über eine Tasse Tee. Über einen Klick können Sie den Blog mit einem freiwilligen Beitrag über PayPal  unterstützen. Danke!!

Danke an:
Sina K. – Visnja M. – Samira M. – Tanja B. – Dirk I. – Robert S.  – Anne H.  – Wolfgang B.

Auf diesen Seiten suchen:

Newsletter

Ihre Anmeldung konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuchen Sie es erneut.
Ihre Anmeldung war erfolgreich.

Melden Sie sich zu unserem Newsletter an, um auf dem Laufenden zu bleiben.

Um sicherzugehen, dass Sie diesen Newsletter abonnieren wollen, erhalten Sie von uns eine eMail mit einem Link zur Bestätigung. Ihre eMail-Adresse wird ausschließlich dafür genutzt, Ihnen unseren Newsletter und Informationen über das TIZ zu senden. Sie können sich jederzeit über den in jeder E-Mail enthaltenen Link abmelden.

Wir verwenden Sendinblue als unsere Marketing-Plattform. Wenn Sie das Formular ausfüllen und absenden, bestätigen Sie, dass die von Ihnen angegebenen Informationen an Sendinblue zur Bearbeitung gemäß den Nutzungsbedingungen übertragen werden.

TIZ jetzt auch auf YouTube

Zur Blog-Sprache

Ich verwende männliche und weibliche oder andere Formen so, wie es mir für das Thema angemessen erscheint. Bitte fühlen Sie sich von den Inhalten und Aussagen angesprochen.
Stefanie Rösch

Information / Beratung

Kontakt

Trauma-Informations-Zentrum
Dipl.-Psych. Stefanie Rösch
Bodanplatz 3
78467 Konstanz

© Trauma-Informations-Zentrum 1999 – 2021

Social Media Auto Publish Powered By : XYZScripts.com