„Überwundene Angst bringt Freiheit und Verantwortung“ – Stefanie Rösch, 2013

Die Angst der Täter und ihr ganz persönlicher Denkfehler

08.06.2019 Veröffentlicht von Lesestoff 0 Kommentare

Wem es noch nicht aufgefallen ist: Täter haben Angst. Immer. Sie haben ein schlechtes Gewissen. Jeder Täter weiß, dass er etwas tut, was er nicht darf. Sonst würde er es nicht im Verborgenen tun. Er müsste sich auch keine Mühe damit machen, sein Opfer zum Schweigen zu bringen und das mit allen Mitteln. Wozu die ganzen Drohungen, die Gehirnwäsche, die Drogen und die Folter, wenn es doch rechtens ist, was man tut? Wenn es okay wäre, dann wäre es vom Gesetz nicht verboten. Das wissen Täter.

Ihr schlechtes Gewissen macht ihnen Angst. Sie leben in der ständigen Angst, entdeckt zu werden. Sie leben in der Angst, von ihren Opfern und von uns als Gesellschaft, überführt zu werden. Auch wenn es Straftaten gibt, die schwer nachzuweisen und noch schwerer zu verurteilen sind. Das ändert an der Angst der Täter nichts.

Aber die Angst der Täter ist so groß, dass sie nicht mehr klar denken können. Sie haben Angst vor ihren Opfern. Würden diese Menschen geschlossen erzählen, was ihnen geschieht, könnte kein Gericht all diese Geschichten ignorieren. Jeder ausgebildete psychologische Gutachter für Aussagepsychologie würde zu dem Schluss kommen, dass die Menschen erlebt haben, was sie schildern. Für uns Nichtbetroffene oft unvorstellbare Grausamkeiten.

Wenn alle Opfer von schwerer Gewalt (Verbrechen wie Vergewaltigung, Menschenhandel, schwere Körperverletzung, sexueller Missbrauch, Folter und so weiter) ihre Geschichten erzählen würden, dann wären wir als Gesellschaft entsetzt. Wir wären darüber entsetzt, wie viele gequälte Menschen es in unserem Land gibt. Ja, ich rede von Deutschland, vom Kriegsgebiet Deutschland. Dafür brauchen wir keine Nazis, keine Terroristen und auch keine Mafia. Dafür reichen ein paar unauffällige deutsche Staatsbürger, die in unserer Nachbarschaft leben: Handwerker, Ärzte, Mechaniker, Hausbesitzer, Landwirte, Verkäufer, Psychologen, Rentner, Putzkräfte, Angestellte im öffentlichen Dienst, Angestellte in der Privatwirtschaft, Selbständige, Freiberufler – was immer Sie, liebe Leser, sich ausdenken können, die Realität ist so viel schlimmer. Die männlichen Formen schließen Frauen als Täterinnen ein, wenn auch der Anteil erfahrungsgemäß gering ist.

Ich gehe davon aus, dass diesen Weg der Gewalt und der Angst keiner freiwillig gewählt hat. Die meisten wurden hinein-gedroht oder hinein-gezwungen – irgendwann. Das enthebt diese Menschen aber nicht der Verantwortung für ihr Handeln heute.

Die Angst der Täter vor der Strafverfolgung raubt ihnen den Schlaf. Ihre Feigheit zu ihren Taten zu stehen und Wiedergutmachung zu leisten, soweit das überhaupt möglich ist, lässt sie in Angst durch ihren Alltag gehen. Drogen, Alkohol und Gewalt lassen sie die Fassade aufrechterhalten und betäuben diese Angst für wenige Augenblicke. Aber die Angst kommt schnell zurück ins Bewusstsein und kriecht tiefer und tiefer in ihre verzweifelten Seelen. Wie alle anderen Menschen wollen Täter sich sicher fühlen. Aber die Angst vor Entdeckung und das schlechte Gewissen machen sie blind. Blind für die offensichtlichste aller Lösungen.

Lasst Eure Opfer in Ruhe!

Es wird immer Menschen geben, die Opfer begleiten und sich Tätern furchtlos entgegenstellen. Es wird immer Menschen geben, die sich wehren und sich dabei an das Gesetz halten. Diese Menschen werden immer versuchen, Opfer von Gewalt dazu zu ermutigen, sich von Tätern fernzuhalten. Aber wenn das Opfer aus dem Einflussbereich der Täter verschwindet, dann versetzt das diese nur in Panik. Denn dann droht in ihrer angstgesteuerten Phantasie die Anzeige. Was realistisch betrachtet selten der Fall ist.

Doch obwohl wir gerade bei organisierter und ritueller Gewalt davon ausgehen müssen, dass mit den Mitteln des Deutschen Rechts in seiner derzeitigen Fassung schwer oder gar nichts zu machen ist, verfallen ganze Tätergruppen in Panik, wenn sie ein Opfer verlieren.

Wer würde einem einzelnen, durch die Folter psychisch schwer verletzten Opfer mit Erinnerungslücken vor Gericht glauben, wenn 5 oder mehr gesellschaftlich anerkannte Täter, die weder die Wahrheit sagen noch überhaupt ihren Teil zur Wahrheitsfindung beitragen müssen, sich gegenseitig decken? Niemand. Deswegen werden diese Fälle so gut wie nicht vor Gericht gebracht. Der Fall des kleinen Jungen, der von seiner Mutter verkauft wurde, um vergewaltigt und gequält zu werden, ist da eine lobenswerte Ausnahme.

Der ganz persönliche Denkfehler von Tätern ist, dass es immer wieder und mehr Gewalt braucht, damit sie sich sicher fühlen können. Genau das Gegenteil ist der Fall.

———— An die Täter ————

hört auf, Euch in die Hose zu machen, wenn ihr ein Opfer verliert. Es zu verfolgen, wieder zu bedrohen oder gar ermorden zu wollen. Das handelt Euch nur noch mehr Ärger ein. Es wird nie dazu führen, dass Ihr euch sicher fühlt. Die Aufklärungsrate bei Mord ist hoch, auch wenn ihr es wie einen Suizid aussehen lassen wollt. Wir Therapeutinnen wissen das. Aber ihr wisst nicht, ob wir mit unseren Klientinnen eine Vereinbarung haben, die uns von der Schweigepflicht enthebt, sollte unseren Klientinnen etwas passieren.

Wir Therapeutinnen haben gelernt, dass wir besonders in solchen Fällen unsere Klientinnen zum Dokumentieren ermutigen und Kopien von allen wichtigen Dokumenten und Informationen haben, so dass nichts verloren gehen kann. Glaubt ihr wirklich, dass wenn ein Opfer nach dem Ausstieg stirbt, die Polizei in Zukunft nicht oder nie erfährt, wer dafür verantwortlich ist?

Wenn eines Eurer Opfer sich von euch fernhält, bringt es damit eindeutig zum Ausdruck, dass es mit Euch nichts mehr zu tun haben will. Wenn ihr weiter in Freiheit leben wollt, dann könnt ihr nur eins tun: Stillhalten und akzeptieren, dass ihr diesmal verloren habt. Alles andere wird nur dazu führen, dass es auch für Euch unangenehm wird.

Dass ihr Angst davor habt erwischt zu werden, liegt daran, dass ihr in euren verletzten Herzen wisst, dass es nicht okay ist, was ihr tut. Der einzige Weg zu innerem Frieden ist das zu tun, was Euer Gewissen euch sagt: Aufhören mit der Gewalt und Verantwortung übernehmen für Eurer Handeln. Dann kehrt auch wieder Ruhe ein und die Nächte werden wieder erholsam.

Eine Selbstanzeige wäre da der beste Weg für Euch.

Der eine oder andere an Gewalthandlungen Beteiligte würde sich wundern, dass sogar Vergebung möglich ist. Von Gewalt Betroffene wollen oft nichts Anderes, als dass Ihr aufhört mit der Gewalt und Verantwortung übernehmt. Dadurch könnten die Menschen, die Ihr zu Opfern macht, die Hilfen in Anspruch nehmen, die wir als Gesellschaft dafür vorgesehen haben, dass jeder einzelne von uns versagt hat, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger vor Euch zu schützen.

Um das zu erkennen, braucht es Mut. Meine Hoffnung ist gering, dass es unter euch viele Menschen mit Mut gibt. Aber ich mag mich täuschen und lasse mich gerne eines Besseren belehren. Vielleicht ist die Aussicht auf inneren Frieden für den einen oder anderen doch stärker als die Angst vor der Entdeckung. Sucht Euch einen Anwalt und geht mit dem zur Polizei und erzählt, was ihr getan habt und wie es dazu kam – Erleichterung wird die Folge sein.

Wenn Euch aber der Mut fehlt, dann ist vielleicht der eine oder andere intelligent genug, das Risiko zu minimieren, die Füße still zu halten, wenn er ein Opfer verloren hat. Denn das ist der einzige Weg, nicht erwischt zu werden.

———— An alle Menschen mit Gewalterfahrung ————

Sucht euch jemanden, dem ihr trauen könnt. Es gibt uns überall. Lasst uns Wege finden, das Leid zu beenden! Ich bin dabei! Auch wenn ich noch keine Ahnung habe, wie genau das gehen kann. Aber ich bin sicher, gemeinsam fällt uns etwas ein. Nur Mut!

Ich wünsche allen viel Kraft für ihren Kampf gegen die Angst.

Stefanie Rösch

Leserfrage: Ist ein Täterintrojekt eine Dissoziation?

24.05.2019 Veröffentlicht von Definitionen, Leserfragen 0 Kommentare

Hallo,
Ich habe eine Frage. Meine Therapeutin glaubt, dass ich eine dissoziative Störung habe. Ich verstehe aber nicht genau was sie meint. Dazu habe ich starke Täterintrojekte. Durch Ihren Beitrag hier konnte ich mich besser verstehen. Oder glauben Sie, dass meine Therapeutin meint, dass die Introjekte die Dissoziation sind?
Lg Thomas

Lieber Thomas,

Dissoziation, wie ich den Begriff verstehe, meint einen psychologischen Zustand, in dem Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse von gegenwärtigen Reizen nicht als Einheit wahrgenommen werden. Also zum Beispiel, wenn man aufgrund von einer Erinnerungsattacke das „Gefühl“ hat, in der Vergangenheit zu sein, obwohl man bei dem Blick auf den Kalender sieht, dass es „heute“ ist. Das Erleben von Gegenwart und Vergangenheit ist verändert. Das kann man als Dissoziation bezeichnen.

Oder wenn man zwar sieht, wo man ist, aber es sich innerlich so anfühlt, als wäre man ganz weit weg. Als wenn alles durch Watte gepuffert ist oder durch eine Glasscheibe beobachtet wird. Auch das wären Beispiele für dissoziatives Erleben.

Und wenn man den Eindruck hat, dass da jemand anderes für einen oder an meiner Stelle handelt oder mich innerlich voll labert, als ob es da „andere“ im eigenen Kopf gibt, die manchmal so stark sind, oder so „vorne“ sind, dass man sich selbst nur noch zuschauen kann, dann nennt man diesen dissoziierten Zustand auch „Introjekt“. Betroffene haben in extremen Fällen den Eindruck, dass es wie eine komplett andere Person ist.

Aber die meisten Menschen kennen dissoziative Zustände, wenn sich die Gegenwart irgendwie „anders“ anfühlt und meistens ist das unangenehm. Zum Beispiel geht es vielen Menschen so, dass Sie sich in bestimmten Situationen „klein“ fühlen oder sich verhalten „wie ein Kind“. Auch das kann man als dissoziativen Zustand beschreiben. Grundsätzlich gehört Dissoziation zum Menschen dazu. Aber manchmal sind diese Zustände so unangenehm (voller Angst oder komplett ohne Gefühle) oder führen dazu, dass sich jemand selbst schadet. Wir sagen dann, das macht denjenigen krank. Dann ist es gut, dass es Menschen wie Ihre Therapeutin gibt, die Ihnen zeigt, wie Sie diese Zustände wieder so verändern können, dass es Ihnen besser geht.

Insofern glaube ich, dass Ihre Therapeutin diese Worte tatsächlich so verwendet, wie Sie es verstanden haben: Ein Introjekt ist eine Form der Dissoziation. Aber fragen Sie Ihre Therapeutin doch einfach, wenn Sie Worte benutzt, die Ihnen nicht ganz klar sind. Das sind alles sehr abstrakte Worte, die oft gar nicht so eindeutig definiert sind, also eine eindeutige Bedeutung haben J

Ich wünsche Ihnen viel Kraft für Ihren Weg, Ihre Stefanie Rösch

Leserfrage: Das Täterintrojekt erklärt die Therapeutin zur Gefahr. Was tun?

01.07.2017 Veröffentlicht von Leserfragen 4 Kommentare

Liebe Frau Rösch,
Sie haben Recht, das Täterintrojekt ist etwas anders als die giftigen Gedanken. Nächsten Monat habe ich einen neuen Versuch zu einer Therapie. Viel wird davon abhängen, ob eine Vertrauensbasis zu der Therapeutin da ist. Das ist das Schwierigste für mich. Hier wirkt das Täterintrojekt stark mit rein, jede kleinste nicht authentische Geste reicht aus und das Vertrauensverhältnis ist hin. Ich strenge mich wirklich an offen zu sein, zu vertrauen, aber ein Teil in mir möchte nur fliehen, das Täterintrojekt erklärt die Therapeutin zur Gefahr. Dann frage ich mich, wozu versuche ich es überhaupt. Ich möchte irgendwann frei sein.

Liebe Leserin,

War denn der Täter immer authentisch? Ich glaube nicht. Wie Täter so sind, versprechen sie Dinge, die sie nicht halten oder sorgen dafür, dass Sie als Betroffene in eine Situation kommen, die auf jeden Fall mit Gewalt endet. Egal ob es ein wenig mehr oder weniger Gewalt ist. Es ist und bleibt Gewalt. Ist das authentisch?

Warum lassen Sie sich vom Täterintrojekt vorschreiben, wem Sie vertrauen?

Das Täterintrojekt beschützt den Täter. Wollen Sie da mitmachen, wenn Sie dem Täterintrojekt nachgeben? Natürlich boykottiert das Täterintrojekt alle helfenden Beziehungen. Weil jede echte helfende Beziehung eine Gefahr für den Täter darstellt. Und Täter sind voller Angst, dass ihnen jemand auf die Schliche kommt. Weil sie genau wissen, dass Sie Verbrechen begehen.

Ich bin davon überzeugt, dass Ihr Täterintrojekt schon rumspinnt, wenn es das hier nur liest. Rumspinnt im Sinne von, es will nicht, dass Sie weiterlesen. Es will, dass Sie mir nicht mehr schreiben. Es will, dass Sie gar nicht erst zur Therapie gehen, weil man sowieso niemanden trauen kann und und und. Das jedenfalls stelle ich mir vor.

ABER: Sie bestimmen, ob es dem Täter in Ihrem Kopf gelingt, Sie von helfenden und heilsamen und wohlwollenden Beziehungen fernzuhalten. Sie können entscheiden, sich über „das Gelaber“ des Täterintrojekts hinwegzusetzen und trotzdem anzunehmen, dass die Therapeutin Ihnen helfen will. Denn das bedeutet Vertrauen. Vertrauen ist eine Entscheidung. Eine Entscheidung, anzunehmen oder zu vermuten, vielleicht auch gegen jede Chance zu hoffen, dass der Andere gute Absichten hat, auch wenn sein Verhalten uns manchmal weh tut oder scheinbar nicht stimmig ist.

Gesunde, wohlwollende Menschen sind widersprüchlich. Sie verhalten sich scheinbar unzuverlässig, weil sie freie Entscheidungen treffen können, d.h. sie können auf unterschiedliche Situationen auch unterschiedlich reagieren. Eben situationsangemessen. Nicht authentisch zu sein, so vermute ich, bedeutet für Sie, wenn das, was die Person sagt, und wie sie sich verhält nicht immer übereinstimmen. Ist das beim Täter so gewesen? War der immer stimmig? Oder war der auch nicht authentisch?

Es gibt wenige Menschen, die immer authentisch sind. Es gibt vorübergehend eine einfache Lösung für das Problem: Glauben Sie vor allem bei Therapeuten erstmal das, was derjenige Ihnen sagt. Ignorieren Sie die Körpersprache. Das macht es erstmal leichter. Idealerweise würde es so funktionieren, dass Sie nachfragen, wenn Ihnen etwas komisch vorkommt. Denn meist handelt es sich um ein Missverständnis. Das kann man mit einer guten Therapeutin einfach besprechen. Kommunikation ist schwierig und bedarf, dass beide Seiten einander verstehen wollen. Dann kann man Missverständnisse, um die es meistens geht, einfach klären. Es braucht, dass Sie immer wieder alles auf eine Karte setzen. Aber das können Sie mit der Kollegin ja einfach direkt am Anfang besprechen. Nur Mut!!

Sie können frei entscheiden. Sie sind stärker als das Täterintrojekt. Sie sind noch da und das sagt mir, dass Sie stärker sind. Sie gehen wieder zur Therapie, weil Sie stärker sind. Sie wollen gesundwerden, weil Sie stärker sind. Das ist die Wahrheit. Und tief in sich drin wissen Sie, dass es die Wahrheit ist.

Ich wünsche Ihnen weiterhin alle Kraft für Ihren Weg.

Leserfrage: Was ist der Unterschied zwischen giftigen Gedanken und Täterintrojekten?

24.06.2017 Veröffentlicht von Leserfragen, Strategien 4 Kommentare

Liebe Frau Rösch, ich habe viele Ihrer Artikel in diesem Blog gelesen, vor allem das Thema giftige Gedanken berührt mich sehr. Ich habe eine Frage und hoffe, dass Sie vielleicht weiterhelfen können. Ich habe eine Traumkonfrontationstherapie gemacht, jedoch nicht erfolgreich. Die Therapeutin sagte, ein zu starkes Täterintrojekt würde die Zusammenarbeit unmöglich machen. Jetzt bin ich etwas ratlos, wie wird das behandelt? Ich weiß, dass diese giftigen Gedanken sehr stark sind und kämpfe dagegen an wo ich kann. Gibt es dabei eine Möglichkeit zur Unterstützung für mich? Seit dem Abbruch der Therapie habe ich fast jeden Tag Panikattacken und weiß nicht mehr weiter.

Liebe Leserin,

könnte es sein, dass Ihre „Panikattacken“ im Grunde Flashbacks sind (–> Erinnerungsattacken/Fehlalarme des Hirns)? Dann könnte alles helfen, was bei Flashbacks hilft (–> Was hilft gegen Flasbacks, weitere Möglichkeiten).

Dringender scheint mir jedoch die Frage nach den giftigen Gedanken und dem Täterintrojekt zu sein. Dazu möchte ich zuerst versuchen zwischen giftigen Gedanken und einem Täterintrojekt zu unterscheiden.

Giftige Gedanken, sind negative Gedanken, die im Autopiloten (–> Was ist der Autopilot?) in unserem Hirn unterwegs sind und uns meist, indem sie Angst auslösen, daran hindern frei zu sein. Aber es sind nur Gedanken. Wenn man sie entdeckt hat, dann reicht als Gegenmaßnahme, den Autopiloten „neu zu programmieren“, was aus meiner Erfahrung in erster Linie durch blanke Wiederholung erreicht werden kann (–> Giftige Gedanken). Hilfreich ist es, wenn man noch subjektive Beweise für den neuen, gesunden, positiven Gedanken finden kann.

Ein Beispiel: Wenn ich denke „Ich bin wertlos“, dann ist das ein giftiger Gedanke, der mich daran hindert frei zu sein. Bei allem, was ich tue, flüstert dieser Gedanke im Hintergrund, dass ich es nicht schaffe, weil ich wertlos bin. Wenn ich diesen Gedanken entlarvt habe (1), dann entscheide ich zuerst, dass ich in Zukunft „Ich bin wertvoll“ über mich selbst denken will (2), oder vielleicht auch „Ich liebe und akzeptiere mich so wie ich gerade bin“ (2). Dann wiederhole ich den Satz, täglich über mindestens 3 Wochen (3). Aus der Sportpsychologie weiß man, dass es ein paar Tausend Wiederholungen braucht, um einen Bewegungsablauf automatisch abrufen zu können. Für giftige Gedanken kann man sich das einfach genauso vorstellen. Wenn man jetzt noch dazu aufschreibt, was dafürspricht, dass man wertvoll ist (4), z.B., weil es Freundin A und B gibt, oder mein Hund sich freut, mich zu sehen, oder die Verkäuferin freundlich gelächelt hat, dann kann man den neuen Gedanken in den Autopilotenzustand (unbewusst/automatisiert) bringen.

Ein Täterintrojekt, wie ich es verstehe und meine, wenn ich in meinem Blog darüber schreibe, ist ein Bündel von Gedanken, das ein intensives Eigenleben führt. Im Grunde wie eine eigene Person (auch Ich-Zustand genannt). Meist sind diese inneren Anteile in ihrer Zeit (Zeitpunkt einer traumatischen Erfahrung) eingefroren. Sie können auf unterschiedliche Weise in Erscheinung treten. Bis dahin, dass sie das Handeln der Person übernehmen wie bei der Dissoziativen Identitätsstörung (DIS –> Definition und Beschreibung).

Täterintrojekt werden diese Erinnerungs- /Ich-Zustände genannt, weil sie Verhalten und Forderungen eines Täters in unseren Köpfen weiterleben lassen (Introjekt = im Inneren abgebildet = wie eine Kopie des Täters in unserem Kopf). Man kann mit ihnen sprechen. Mit einem giftigen Gedanken kann man nicht sprechen, es ist nur ein einzelner Gedanke. Wie eine Haltung oder eine Erwartung. Ein Täterintrojekt ist komplexer. Mehrere Gedanken, Erwartungen und Haltungen, die täterfreundlich sind oder sich verhalten, um einem Täter zu gefallen, weil das mit weniger Gewalt oder Geschenken oder sonst wie belohnt wird. Sie beschützen die Täter durch ihr Verhalten.

Täterintrojekte behandle ich wie eigenständige Menschen, wie eine Person im Kopf meiner Klienten. Ich rede mit ihnen und versuche herauszufinden, was sie wollen. Manchmal verraten sie es und manchmal zicken sie rum. Wenn Sie rumzicken oder schaden wollen, zum Beispiel durch selbstverletzendes Verhalten, dann ermutige ich die Klientin, sich im Kopf zu wehren. (–>Täterintrojekte, das Recht auf Notwehr)

Damit das klappt, so meine Erfahrung, braucht es äußere Sicherheit. Also Sicherheit für den eigenen Körper. Es braucht eine stabile Beziehung (die Therapeutin), die zur inneren Notwehr ermutigt und Ideen liefert, wie das gehen kann. Die Therapeutin hilft zu erkennen, dass nichts passieren kann, wenn man sich gegen die Stimmen im eigenen Kopf wehrt. Täterintrojekte versuchen, Ihnen Angst zu machen. Lassen Sie das nicht zu! Was auch immer es ist, zum Zeitpunkt der Therapiesitzung ist es vorbei und Sie sind sicher. Davon gehe ich jedenfalls aus, denn sonst wäre die Therapeutin/der Therapeut Täter.

Alles, was in Ihrem Kopf stattfindet, können Sie lernen zu beherrschen. Machen Sie sich bewusst, wer da unterwegs ist und was derjenige von Ihnen will. Bisher habe ich den Eindruck, dass das nur mit einem furchtlosen Gegenüber (Therapeutin) geht, das Sie unterstützt und manchmal vorlebt, wie man sich wehrt.

Das kann ein sehr langer Prozess sein, aber man kann sich auch von hartnäckigen Täterintrojekten befreien. Bisher konnten meine Klienten und ich in meinen Therapien noch jedes Täterintrojekt in die Knie zwingen und rauswerfen.

Auch wenn es ein ziemlicher Kampf sein kann. Ja, ein Kampf. Immer ein innerer und manchmal auch äußerer Kampf, wenn zum Beispiel das Täterintrojekt meint, es muss den Therapieraum verlassen, um die Therapie abzubrechen. Für diese Fälle habe ich mit der Klientin dann VORHER abgesprochen, dass ich es daran hindere, seinen Plan auszuführen, indem ich mich zwischen Tür und Täterintrojekt im Körper der Klientin stelle und so verhindere, dass das Täterintrojekt gehen kann. Gleichzeitig spreche ich wie vereinbart mit der Klientin und sage ihr, dass sie jeder Zeit gehen kann, wenn sie will, aber sie muss es mir selbst sagen. Von Täterintrojekten lasse ich mir nichts sagen 🙂

Wenn die Introjekte durch rituelle Gewalt entstanden sind, dann mögen sie es gar nicht, wenn man laut ein Gebet spricht oder ein Lobpreislied singt und sie dann wegschickt. Aber auch Lieder wie „Die Gedanken sind frei“ haben sich schon als hilfreich herausgestellt. Manchmal passiert dann so etwas wie im Filmausschnitt am Ende bildlich dargestellt: Die Böse Hexe des Westens (unser Täter) schmilzt (verschwindet aus dem Kopf) nachdem Dorothy versehentlich einen Eimer Wasser über sie kippt (sich gewehrt hat/Notwehr) als Sie ihren Freund Vogelscheuche retten will, den die Hexe in Brand gesteckt hat (Letztendlich retten Sie sich selbst).

Ich hoffe, Sie finden jemanden, der diesen Kampf gegen das Täterintrojekt wieder mit Ihnen aufnimmt und an Ihrer Seite kämpft und Ihnen Mut macht, sich zu wehren. Ich weiß, dass Sie die Macht haben, das Täterintrojekt zu besiegen. Sie können es rauszuwerfen oder innerlich töten, wenn es sein muss. Auch wenn Sie das noch nicht glauben können. Ich bin mir sicher, dass Sie die Kraft dafür haben werden.

Leserfrage: Woher weiß ich, wer meine Inneren Täter sind?

13.02.2015 Veröffentlicht von Erklärungsmodelle, Leserfragen 0 Kommentare

Ich hab Ihren Blog schon oft gelesen, aber das mit dem Recht-auf-notwehr-auch-gegen-innere-Täter, verstehe ich nicht so wirklich. Ich kann das nicht in Verbindung mit meinem Inneren bringen. Wie soll ich auseinander halten, wer meine inneren Täter sind? Ja, ich verletze mich und all das, was Sie schreiben, aber ich verstehe nicht, wen ich schlafen legen soll.

Liebe Leserin,
Die Vorstellung von den inneren Tätern entsteht aus der Annahme, dass wenn ein Mensch lange genug etwas von außen hört und/oder aber bedroht wird und keine Möglichkeit hat, diese Situation zu verlassen, er die Spannung, die dadurch entsteht, irgendwie bewältigen, also weniger machen muss.

Ein Beispiel: Ein Kind macht die Erfahrung, dass es etwas kann. Dann klappt mal etwas nicht. Die Mutter sagt: „Du wieder, Du bist einfach zu blöd dazu.“
Das Kind erlebt in sich eine Spannung zwischen seinem eigenen Gedanken „Ich kann doch was!“ und der abwertenden Aussage der Mutter. Diese Anspannung ist sehr unangenehm und keiner will sie aushalten müssen. Also versucht das Kind, die Spannung zu verringern, indem es denkt: „Stimmt doch gar nicht. Schau, das und das kann ich wohl!“. Aber wenn die Mutter immer wieder sagt: „Du bist zu blöd.“ Dann kann es sein, dass es die Spannung irgendwann nur noch dadurch wegmachen kann, dass es denkt: „Die Mutter hat Recht. Ich bin zu blöd.“

In der Grafik ist dieses Beispiel auch nochmal dargestellt.

Für eine Situation gibt es immer viele Bewältigungsmöglichkeiten, hier als Punkte 1 bis 6 dargestellt. Dem Kind stehen bestimmte Bewältigungsmöglichkeiten noch nicht zur Verfügung, z.B. sowas zu denken wie (1). Wenn es offenen Widerstand (4) leistet, bekommt es vielleicht Schläge. Dann bleibt ihm nur der Weg über die inneren Täter, d.h. schlecht über sich selbst zu denken. Alle anderen Möglichkeiten hat man als Kind einfach noch nicht, z.B. auszuziehen oder die Polizei einzuschalten, mal abgesehen davon, dass die in diesem konkreten Beispiel mit der abwertenden Mutter auch nichts tun könnten.
Das Kind sitzt also in einer Zwickmühle. Seine eigenen Gedanken stehen im Widerspruch zu dem, was die Mutter sagt und tut. Deswegen hat es nur diesen einen Weg: Ins gleiche Horn zu stoßen wie die Mutter (6).

Dieser Gedanke „Ich bin blöd“, der mit der Stimme der Mutter im Kopf abgespeichert wird, ist ein innerer Täter. Ein anderes Wort dafür ist innerer Kritiker. Immer wenn wir etwas verändern wollen, hören wir in unserem Kopf die Stimme dieses Kritikers: „Du bist sowieso zu blöd. Lass es einfach gleich.“

Es braucht viel Mut, sich gegen diese inneren Stimmen zu erheben, weil wir glauben, dass sie – so wie die Mutter damals – Recht haben. Jedoch sind wir heute erwachsen und können viel besser selbst beurteilen, ob wir etwas können oder nicht. Ob man einen Schnürsenkel binden kann, das kann man auch selbst prüfen und beurteilen. Außerdem gibt es andere Leute, die kompetenter sind als die Mutter, die uns sagen können, ob wir etwas können oder nicht.

Diese negativen oder giftigen Gedanken des Inneren Kritikers können, wenn jemand besonders viel Gewalt erlebt hat, konkrete Sätze der Täter wiederspiegeln: Du darfst niemandem etwas sagen. Wenn Du was sagst, passiert etwas Schlimmes. Das ist unser Geheimnis. Dich will sowieso niemand / Dir glaubt sowieso niemand. Du bist allein. Niemand kann Dir helfen. Andere interessieren sich nicht für Dich. Du bist hässlich. Du bist wertlos, bla bla bla. Täterlügen!! Alles Täterlügen!! (ein weiteres Beispiel hier)

Täterlügen sind dazu gedacht, dass der Täter seine Gewalt weiter machen kann, ohne erwischt zu werden.

Manchmal ist es so, dass jemand diese Sätze als Kind oder auch später sehr oft gehört hat und vielleicht gingen sie auch noch mit Erfahrungen von Ohnmacht und Schmerz einher; wenn das so ist, dann glauben wir diese Sätze einfach. Es gab damals keinen anderen Weg in einer so unsicheren Umgebung zu überleben, als diese Täterlügen zu glauben. Um mit der Ohnmacht umzugehen und dem Schmerz ein wenig entgehen zu können, kann es sein, dass man sich diese Sätze selbst sagte und heute immer noch sagt. Auch das sind innere Täter.

Und wenn die Gewalt besonders brutal, intensiv und gemein war, dann kann es auch sein, dass diese inneren Täter sich im Kopf breit machen und man das Gefühl hat, als wären die Täter ständig bei einem oder sogar im eigenen Kopf. Es scheint so, als würden sie dort machen können, was sie wollen. Wie eine echte Person. Eine zweite oder auch dritte Person im eigenen Kopf. Manchmal sind es auch viele.
Diese Inneren Täter haben manchmal von den echten Tätern die Aufgabe bekommen, dafür zu sorgen, dass man da immer wieder hingeht und sich damit den Tätern immer wieder selbst ausliefert. Es fühlt sich an, als könnte man nichts Anderes tun. Man fühlt sich den inneren Tätern genauso ausgeliefert und ohnmächtig und allein, wie gegenüber den äußeren Tätern.
Die Aufgabe der inneren Täter ist die äußeren Täter zu beschützen. Gleichzeitig scheint es so, als würden die Inneren Täter auch mich, die betroffene Person, beschützen. Manchmal tun sie das auch – aber nur solange man in der äußeren Welt noch Kontakt zu den echten Tätern hat.

Wenn man keinen Kontakt mehr in der äußeren Welt hat, dann beschützen die inneren Täter die äußeren Täter immer noch und machen einem damit das Leben schwer.
An der Stelle ist es dann wichtig zu wissen, dass man sich das nicht mehr gefallen lassen muss und sich wehren darf und auch kann (Recht auf Notwehr und eine Ergänzung), indem man sich vorstellt, man schläfert diese Inneren Täter ein oder schießt sie auf den Mond oder in ein Schwarzes Loch oder wurstet sie durch einen Fleischwolf. Was immer eine gute Vorstellung ist, wie man sich erfolgreich gegen diese Inneren Täter wehren möchte.

Innere Täter erkennt man also daran:

  1. Dass man sie im eigenen Kopf hören kann, manchmal sogar direkt in der Stimme des Täters oder der Täter, was auch Eltern sein können.
  2. Dass sie so tun als würden sie einen beschützen.
  3. Dass sie aber in Wahrheit die Täter beschützen, indem sie mit ihrem Verhalten und ihrem Gequatsche dafür sorgen, dass man sich keine Hilfe holt und niemandem erzählt, was einem passiert (ist).
  4. Dass sie dafür sorgen, dass es einem schlecht geht, manchmal sogar so schlecht, dass man sich umbringen will.

Das ist mal eine grobe Unterscheidung.

Im Einzelfall muss man sich mit so einer inneren Stimme mal genau unterhalten, warum sie sagt, was sie sagt. Oft verraten die sich auch. Aber aus meiner Erfahrung sollte man das nur mit einer erfahrenen Traumatherapeutin machen oder mit einem Therapeuten natürlich auch.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit dieser Erklärung ein wenig Licht ins Dunkel bringen.
Viel Kraft für Ihren Weg!
Stefanie Rösch

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